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Unser Stolpersteinspaziergang

im Zuge des Projektes „Garten des Gedenkens“

Am Dienstag, den 3.September haben wir, rund zehn Schülerinnen der Elisabethschule, uns auf den Weg gemacht, die Geschichte ehemaligen Schülerinnen der Elisabethschule anhand der Stolpersteine in Marburg zu erkunden. Die Stolpersteine sind 10x10cm große Betonquader mit einer eingelassenen Messingplatte, auf der Name, Geburtsjahr, der Tag der Deportation und das Todesdatum von Opfern des Nationalsozialismus eingraviert sind.. Um sich an das Leben dieser verfolgten, in den meisten Fällen jüdischen Mitbürger zu erinnern, wurden auch in Marburg schon zahlreiche Stolpersteine vor deren ehemaligen Häusern gesetzt.

Unter diesen Verfolgten finden sich auch Marion Reis, Hedwig Jahnow und Rosa Bergel, ehemalige Schülerinnen der Elisabethschule, welche in den 1930er und 40er Jahren noch eine Mädchenschule war.

Unsere Lehrerin Frau Soltendieck-Plenge führte uns zu den Stolpersteinen dieser drei Frauen beziehungsweise Mädchen und wir erfuhren wo und wie diese in Marburg gelebt haben, aber auch wie sie in den Tod gefunden haben.

Zunächst führte unser Weg in die Schwanallee 15b, wo die verwitwete Rosa Bergel geb. Baum bis 1942 mit ihrer Schwester Bertha Baum in der Erdgeschosswohnung des Hauses gewohnt hatte. Ihr Mann, Jacob Bergel, war dort Oberlehrer und Leiter des Israelitischen Schüler- und Lehrlingsheims gewesen und verstarb 1935. Die Schwanallee 15 wurde bis zum 6. September 1942, an dem die letzten Marburger Juden in das KZ Theresienstadt deportiert wurden, als „Ghettohaus“, in welches die jüdischen Bewohner Marburgs zwangsweise ziehen mussten, genutzt. Rosa Bergel war mit 71 Jahren zum Zeitpunkt ihrer Deportation zusammen mit ihrer Schwester am 6. September 1942 die älteste der drei (ehemaligen) Schülerinnen der Elisabethschule. Sie wurde von dort aus weiter deportiert, wann und wo sie ermordet wurde ist jedoch nicht bekannt. Bertha Baum hingegen starb am 21. Februar 1943 im KZ Theresienstadt aufgrund der unvorstellbaren menschenunwürdigen Lebensbedingungen.

Unsere nächste Station war die Friedrichstraße 2, wo sich das ehemalige Wohnhaus der Familie Reis befindet.

Der Vater, Dr. Hermann Reis, war Rechtsanwalt, erhielt unter den Nationalsozialisten 1933 aber Berufsverbot und verlor seine Zulassung als Anwalt. Daher arbeitete er fortan als „Rechts- und Devisenberater“ und half so zahlreichen Marburger Juden, Deutschland zu verlassen. Im Jahr 1940 musste die Familie unfreiwillig in die Schwanallee 15 umziehen. Die Tochter Marion Reis hatte auch die Elisabethschule besucht, im Zuge der Naziregierung wurde sie dieser jedoch verwiesen. Zusammen mit ihren Eltern wurde auch sie als jüngste der drei ehemaligen Elisabethschülerinnen mit dem letzten Zug aus Marburg am 6. September 1942 in das KZ Theresienstadt deportiert. 1944 wurde die ganze Familie in Auschwitz ermordet.

Unsere letzte Station war die Wilhelmstraße 3, dort wohnte Hedwig Jahnow. Sie wurde als Jüdin geboren, die Familie trat aber kurz nach ihrer Geburt 1879, wahrscheinlich als Zeichen der Integration, zum protestantischen Glauben über. Ab 1907 war Hedwig Jahnow Lehrerin an der Elisabethschule, 1925 wurde sie stellvertretende Direktorin. Darüber hinaus erhielt sie 1926 als erste Frau den Ehrendoktor im Fach „Altes Testament“ durch die Universität Gießen. Trotz ihres protestantischen Glaubens, wurde sie 1935 aufgrund ihrer jüdischen Herkunft von der NS-Regierung aus ihrem Amt entlassen. Im Mai 1942 wurde sie wegen „Hörens von Feindsendern“ zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt, aufgrund des letzten geplanten Deportationszuges im September jedoch entlassen. Hedwig Jahnow starb am 23. März 1944 im Alter von 65 Jahren im KZ Theresienstadt.

Nach dem Stolpersteinspaziergang haben wir am Friedrichsplatz unsere Gedanken um das Gesehene und Gehörte gesammelt und aufgeschrieben. Uns wurde bewusst, wie nah und alltäglich der Judenhass, die Judenverfolgung und die Deportationen an unserem Zuhause waren, dass die Juden damals Mitmenschen wie alle anderen gewesen waren und plötzlich diese Grausamkeiten erfahren mussten. Wir stellten uns die Frage, wie es so weit kommen konnte, dass niemand eingeschritten ist, alle weg gesehen haben, wenn wieder eine jüdische Familie aus ihrem Haus vertrieben und weg gebracht wurde.

Können wir jemals verstehen, was in dieser Zeit passiert ist, warum die Menschen so handelten, wie sie es taten und wie sich die Opfer, aber auch deren Mitmenschen fühlten?

Vielleicht werden wir es nie verstehen können, aber wir sollten uns, auch im Garten des Gedenkens in Marburg, daran erinnern, um uns der Gefahr immer bewusst zu sein, dass so etwas wieder passieren kann.

Auch heute werden immer noch Menschen in zu vielen Ländern dieser Erde wegen ihrer Herkunft, Hautfarbe oder ihrer Religion verfolgt. Was damals in unserem Land passiert ist, sollte uns Mahnung und Ansporn sein, sehr hellhörig zu sein, entschieden gegen solches Unrecht aufzubegehren und uns für die Einhaltung der Menschenrechte einzusetzen.

Von Amelie Peter